Das Jahr 2021

20 Jahre Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache

20 JAHRE ANERKENNUNG DER DEUTSCHEN GEBÄRDENSPRACHE
von Stefan Richter

Seit dem 1. Mai 2002 ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) mit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) als eigenständige Sprache anerkannt. Der Weg dahin war lang und steinig.

Gebärdensprache ist heute – 20 Jahre später – etabliert und aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Die Nachrichten werden live in Gebärdensprache ausgestrahlt, auch der Eurovision Song Contest. Der Film CODA, der in Laut- und Gebärdensprache gedreht wurde, hat in diesem Jahr 3 Oscars gewonnen. Auf den Theater-Bühnen ist Gebärdensprache als Sprache für eine neue Zielgruppe und als eigene Poesie-Form angekommen. Gebärdensprache kann studiert werden, ebenso das Dolmetschen in Gebärdensprache. Im Herbst 2021 wurde von der Kultusministerkonferenz die bundesweite Einführung des Faches Deutsche Gebärdensprache als Wahlpflichtfach in der Schule beschlossen. Der Gebärdenchor von LUKAS 14 zeigt Gebärdenpoesie in Gottesdiensten und bei anderen Veranstaltungen.

Bild: Abendmahl mit Vater Unser in Gebärdensprache. Hetty Krist

Für die heutige Situation haben viele Menschen hart gekämpft: Hörgeschädigte, Fachleute, Pädagog:innen und an vorderster Front auch unser Vereinsgründer Pater Amandus, damals noch Gehörlosenseelsorger.

Werfen wir einen Blick auf die Historie:

Gehörlosigkeit wird bereits in der Bibel, in der Geschichte des brennenden Dornbuschs, erwähnt: „Der Herr entgegnete ihm: Wer hat dem Menschen den Mund gegeben und wer macht taub oder stumm, sehend oder blind? Doch wohl ich, der Herr!“ (Ex 4,11) Es ist zu vermuten, dass gehörlose Menschen von Anbeginn Gebärden als natürliche Kommunikationsmittel benutzt haben. Die sehr wahrscheinlich erste Schule für Gehörlose weltweit, die mit Gebärden als Sprachsystem arbeitete, wurde 1771 von Abbé de l’Epée in Frankreich gegründet. Er gilt als Pionier der Gehörlosenpädagogik und begann im 18. Jahrhundert mit seinem „Allgemeinen Lexikon der Gebärdenzeichen“. Gehörlosen war damit endlich der Weg zur Bildung geöffnet.

1880 sollte hier ein harter Schnitt in Europa erfolgen. In diesem Jahr fand der „zweite internationale Taubstummen-Lehrer-Kongress“ statt, der später als Mailänder Kongress in die Geschichte einging. Die damals tätigen tauben Lehrkräfte waren weder für das Organisationskomitee noch als Mitglieder zum Kongress eingeladen. Festgestellt wurde nicht weniger, als die vermeintliche Überlegenheit der Lautsprache gegenüber der Gebärdensprache. Als Folge daraus wurde beschlossen, dass in Schulen die reine Artikulations-Methode vorzuziehen und auf Gebärden zu verzichten sei. Lediglich die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Schweden haben der Resolution nicht zugestimmt.

In Deutschland war Gebärdensprache an Schulen fortan verboten. Der Gebrauch wurde durch Schläge auf die Finger bestraft. Gehörlose Kinder sollten Lippen lesen und sprechen lernen.

Die Gehörlose Daniela Happ hat mir vor vielen Jahren ein einprägsames Bild zu dieser Methode des Lernens erklärt:
Stell Dir vor, Du bist in einem fremden Land, z.B. in Japan.
Du bist in einem Glaskasten und hörst nichts.
Die Menschen um Dich herum bewegen ihre Lippen und zeigen auf Zeichen an einer Tafel.
Meinst Du, Du würdest so Japanisch lesen und sprechen lernen???

Die Erforschung der Gebärdensprache begann in den 1960er Jahren an der Gallaudet Universität, der ersten Universität für gehörlose und schwerhörige Studierende in den USA. In den 1970er Jahren wurde in Hamburg das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser gegründet und die Forschung in Deutschland aufgenommen. 1997 wurde an der Hochschule Magdeburg-Stendal das erste Studium zum Gebärdensprachdolmetschen eingerichtet. In den 2000er Jahren folgten weitere Dolmetscher-Ausbildungen an verschiedenen Universitäten deutschlandweit. Genau in dieser Zeit habe auch ich mein weiterbildendes Studium zum Gebärdensprachdolmetscher an der Fachhochschule Frankfurt absolviert.

1998 war es die katholische Gehörlosenseelsorge unter Pater Amandus, die sich mit dem Landesverband der Gehörlosen Hessen unermüdlich für den Einsatz von Gebärdensprache in Schulen und Alltag der Gehörlosen stark machte. Unzählige Diskussionen mit Politikern verschiedener Parteien führten schließlich zum Erfolg: Am 10.12.1998 wurde in Hessen als erstem deutschen Bundesland die Deutsche Gebärdensprache politisch als eigenständige Sprache und Kommunikationsmittel für Gehörlose anerkannt. Die bundesweite rechtliche Anerkennung folgte an dem denkwürdigen Datum des 01.05.2002 mit dem Behindertengleichstellungsgesetz.

Bild: Der brennende Dornbusch. Hetty Krist
Bild: Die Mausefalle. Theater in Gebärdensprache (2005)

P. Amandus hat früh die Bedeutung der Gebärdensprache für Gehörlose erkannt. Er hat zu Beginn seine Gottesdienste selbst mit Gebärden untermalt, bevor Verdolmetschungen zu einem festen Bestandteil wurden. Er führte Regie in Theater-Stücken in Gebärdensprache, aus denen sich schließlich auch das Evangelienspiel entwickelt hat. Im Bild des Abendmahls hat die Künstlerin Hetty Krist das Vater Unser in Gebärdensprache verewigt. Kurse in Gebärdensprache wurden angeboten und finden bis heute im LUKAS großen Anklang. Für Menschen mit geistigen Behinderungen wird Gebärdensprache als Unterstützung der Kommunikation verwendet. Und weltweit kommunizieren wir im Zweifelsfall alle mit „Händen und Füßen“, um verstanden zu werden.

Bild: Gebärden während des Frankfurter Evangelienspiels

Am heutigen Tag danken wir allen Pionier:innen, die durch ihren unermüdlichen Einsatz die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache möglich gemacht haben!

Zum 20. Jubiläum zeigen wir das Lied WUNDER in einer freien Gebärdensprach-Fassung unseres Gebärdenchors:

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Integrativer Adventsgottesdienst

Der Adventsgottesdienst mit Br. Rudolf am dritten Advent war wieder eine rundum gelungene Feier und bot ein abwechslungsreiches Programm. Es gab eine souverän lockere Einführung von Benedikt und eine Lesung in Blindenschrift von Christtraud. Dann folgten sehr schöne Fürbitten, die von Patricia so gut eingeleitet wurden, dass tatsächlich alle „Bitte Gott sieh und höre uns“ gesagt und vor allem auch gebärdet haben. Stephinas Tanz zur Gabenbereitung war diesmal ausgesprochen berührend, und Bernd Oettinghaus hat mit echter Begeisterung seine Figur „Heilige Familie“ im Rahmen eines Impulses vorgestellt. Dazu natürlich wie immer die professionelle Untermalung durch den Gebärdenchor von LUKAS 14. Weihnachten kann kommen!

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Bibelentdecker im Dezember

Die Bibelentdecker haben sich im Dezember das erste Mal hybrid getroffen. Um möglichst vielen eine Teilnahme unter verschärften Corona-Bedingungen zu ermöglichen, wurde die Veranstaltung sowohl vor Ort im LUKAS 14 als auch per Videokonferenz angeboten. Diesmal wurde das Thema „Glaube, Hoffnung und Liebe. Wo sind diese geblieben?“ lebhaft diskutiert.

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Erinnerung: Integrativer Adventsgottesdienst

Morgen, Sonntag, den 12. Dezember um 11 Uhr feiert Br. Rudolf mit uns den Integrativen Adventsgottesdienst in Liebfrauen, der auch dieses Jahr wieder von LUKAS 14 gestaltet wird. Es werden Adventslieder gesungen und gebärdet, Sr. Stephina führt einen Tanz auf und Bernd Oettinghaus wird einen Impuls zur Menschwerdung Gottes beisteuern.

Eine Anmeldung ist leider nicht mehr möglich, da der Gottesdienst ausgebucht ist. Allerdings kommt es immer mal vor, dass Personen trotz Reservierung nicht kommen und auch nicht absagen. Es kann sich also lohnen, kurz vor 11 Uhr mal vorbeizuschauen, vielleicht ist dann der eine oder andere Platz wieder zu haben. Es gilt die 3G-Regel.

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3. Dezember – Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen

Der Verein LUKAS 14 e.V. setzt sich aus Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen zusammen: Gehörlose und Schwerhörige, Blinde und Sehbehinderte, Rollstuhlfahrer, Kleinwüchsige und andere Formen der körperlichen oder seelischen Beeinträchtigung.

Am heutigen Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen wollen wir ein paar unserer Mitglieder zu Wort kommen lassen. Was sie bewegt und was sie sich von der Gesellschaft wünschen:

STEFFI, gehörlos und CI-Trägerin

Was wünschst Du Dir von der Gesellschaft heute?

Von der Gesellschaft wünsche ich mir: Dass es einfach mehr Aufklärung gibt in Sachen Gehörlosigkeit. Aber auch, dass Menschen, egal mit welcher Behinderung sie leben, akzeptiert werden und vollwertig angesehen werden. Man sollte sie erstmal kennenlernen und nicht in Schubladen stecken. Weniger Diskriminierung.

CORINNA, hochgradige Sehbehinderung

Was wünschst Du Dir von der Gesellschaft heute?

Ich wünsche mir, dass die Mitmenschen mich in erster Linie als Menschen mit Stärken, Schwächen, guten und schlechten Eigenschaften sehen und nicht vorrangig meine Behinderung. Anders ausgedrückt wünsche ich mir, nicht auf meine Behinderung reduziert zu werden, sondern dass man in mir einfach den Menschen Corinna sieht.

Ich wünsche mir Akzeptanz und dass ich genau so ernst genommen werde wie jeder andere Mensch. Da ich mit meiner Behinderung schon sehr lange lebe, habe ich gelernt, meine Bedürfnisse diesbezüglich zu äußern, zum Beispiel wenn ich etwas nicht lesen kann oder anderweitig Hilfe benötige. In einer größeren Runde ist es aber für mich wichtig, dass andere Leute zunächst auf mich zugehen, wenn sie sich mit mir unterhalten möchten, da das für mich umgekehrt schwierig ist, weil ich die Leute nicht sehe.

Was würdest Du den Menschen ohne Beeinträchtigungen gerne sagen?

Gerne kann man mich zu meiner Behinderung befragen, das ist mir sehr viel lieber als wenn Menschen mich aus Unsicherheit meiden.

GUNTER, Rollstuhlfahrer mit fortschreitender Behinderung

Was wünschst Du Dir von der Gesellschaft heute?

Ich habe natürlich viele Wünsche/Fragen, allerdings nicht allgemein an die „Gesellschaft“, sondern konkreter Natur: warum werden immer noch auf Straßen/Bürgersteigen/Plätze Kopfsteinpflaster verlegt, auf dem ältere Menschen mit Stock oder Rollator, Rollstuhlfahrer, Damen mit hohen Absätzen sich nur schwer fortbewegen können? Es gibt auch andere Lösungen, die auch ins Stadtbild passen. Warum wird in Frankfurt eine neue Straßenbahnhaltestelle (Karmeliterkloster) eingerichtet; die absolut nicht barrierefrei ist? Warum wird in Niederrad eine DHL-Packstation neu eingerichtet, die mit dem Rollstuhl nicht zugänglich ist? Wieso werden mitunter Bordsteine für Rollstuhlfahrer abgesenkt, aber gleichzeitig mittig ein Poller gesetzt? Werden bei all diesen Projekten keine Rollstuhlfahrer in die Planung mit eingebunden? Dies sind nur einige wenige Beispiele von Barrieren, auf die ich nahezu täglich stoße.

Was würdest Du den Menschen ohne Beeinträchtigungen gerne sagen?

Setzt euch mal eine Stunde in einen Rollstuhl und versucht euch im öffentlichen Raum fortzubewegen. Dann werdet ihr nach spätestens 15 Minuten merken, wovon ich spreche und am ersten nicht funktionierenden Aufzug scheitern. Zu Spitzenzeiten waren in Frankfurt 21(!) Fahrstühle der Verkehrsbetriebe gleichzeitig defekt. Allerdings sind wir in Frankfurt noch in einer Luxus-Situation, weil wir für eine Großstadt relativ kurze Wege und unterschiedliche Fortbewegungsmöglichkeiten haben (Bus, U-Bahn, S-Bahn). Außerdem gibt es für Rollstuhlfahrer einen von der Stadt Frankfurt finanzierten Beförderungsdienst für Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, mit dem man sich in Frankfurt und Umgebung zweimal in der Woche mit einem Spezialfahrzeug für Rollstuhlfahrer fahren lassen kann. Es gibt viele Anbieter in Frankfurt. Ich mache jetzt einfach mal Schleichwerbung: der Fahrdienst Rumpf fährt mich schon seit vielen Jahren, privat, auf Kosten der Stadt Frankfurt ins Kino, Theater, Restaurants, zum Einkaufen, aber auch, von anderer Stelle finanziert, ins Büro, zu Ärzten. Ohne deren Hilfe wäre ich oft gar nicht erst  aus dem Haus gekommen, weil auch hier zu Hause der Aufzug regelmäßig defekt ist. Oder ich hätte nachts auf der Straße gestanden und wäre nicht mehr reingekommen.

Was möchtest Du einfach mal loswerden?
Ich habe auch Glück: ich habe einen Mann und eine Schwester, die zu mir stehen und mich unterstützen, einen großen Freundeskreis und einen verständnisvollen Arbeitgeber, Kolleginnen und Kollegen, die mich täglich unterstützen. Auch wird mir im alltäglichen Leben häufig Hilfe angeboten. Gerne von jungen Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund, die offensichtlich bei Rollstuhlfahrern keine Berührungsängste haben. Ich stand noch nie alleine da. Ich denke Hilfe ist auch eine „Holschuld“ und nicht nur eine „Bringschuld“.

Was mich auch nervt: die vielen „ich-bin-nur-mal-kurz-beim-Bäcker“ Autofahrer, die Behindertenparkplätze blockieren. Nur kurze 10 Minuten, aber nacheinander mehrere Autofahrer, sodass der Parkplatz fast durchgehend blockiert ist.

Ach ja, noch etwas: Wie helfe ich richtig?
1. fragen: „Benötigen Sie Hilfe?“
2. fragen: „Wie kann ich helfen?“
3. Antwort abwarten, nicht ungefragt übergriffig werden
4. akzeptieren wenn das Hilfsangebot abgelehnt wird (man versucht es oft erst selbst. Stichwort: Selbstständigkeit erhalten)
5. sich nicht abschrecken lassen, wenn jemand auf das Hilfsangebot unfreundlich reagiert, denn es gibt, genauso wie im Rest der Gesellschaft, auch unter den Menschen mit Behinderungen vereinzelt Person, die einfach nur Idioten sind und unangemessen reagieren.

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Einladung zum Nachdenken – Dezember 2021

Aus dem Dunkel zum Licht

In der dunklen Jahreszeit wächst in uns allen die Sehnsucht nach Licht und Wärme. Seit Urzeiten feiern die Menschen daher die Rückkehr des Lichts nach der Wintersonnenwende, und viele Religionen kennen Lichterfeste. Das christliche Weihnachten, das jüdische Chanukka, das hinduistische Diwali, das buddhistische Pavarana oder das muslimische Mevlid Kandili sind Lichterfeste, die in der Zeit von Ende Oktober bis Ende Dezember gefeiert werden. Bei all diesen Festen schwingt die Hoffnung auf Erneuerung und Erleuchtung mit. Vor der Zeit der Elektrifizierung war „Licht“ immer untrennbar mit „Wärme“ verbunden. Feuer, Fackeln, Kerzen erleuchten nicht nur die Finsternis, sie schenken auch Wärme, die ein Gefühl der Geborgenheit, des Behütetseins vermittelt. Gefühle, die gerade heutzutage, mitten in der vierten Welle der Corona-Pandemie, die zum Abstandhalten, zur Isolation zwingt, besonders vermisst werden.

Christen warten im Advent auf die Menschwerdung Gottes in Gestalt eines kleinen Kindes, und doch ist dieses hilflose Baby das Licht der Welt. Wenn wir Menschen uns öffnen, dieses Licht in unsere Herzen und Gedanken strömen lassen, können wir selbst zu einem Funken werden, der in anderen Menschen Hoffnung und Wärme entzündet.

Cornelia Horne

Und doch

Eine einzige Kerze,
wer nimmt die schon wahr?
Die Nacht ist so finster.

Doch zünde mit ihr
all die anderen an.
Dann vertreibst du das Dunkel.

Ein Funke Hoffnung,
wer nimmt den schon wahr.
Die Verzagtheit ist groß.

Doch der Funke springt über
auf all die Verzagten
und macht ihnen Mut.

Ein einzelner Mensch.
Wer nimmt den schon wahr?
Doch vielleicht ….

© Gisela Baltes

Foto: Rüdiger Horne

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